Wenn sich alles sinnlos anfühlt: Viktor Frankls Methode hat Millionen Menschen gerettet
Dec 29, 2025Es gibt Zeiten im Leben, in denen sich nicht nur alles schwer anfühlt –
sondern leer.
Man steht morgens auf. Man funktioniert. Man erledigt, was erledigt werden muss. Und trotzdem taucht diese Frage auf – leise oder laut: „Wozu eigentlich?“
Kannst du dir eine Situation vorstellen, in der das Leben sinnloser und ungerechter erscheint als im Konzentrationslager der Nationalsozialisten? Du weißt nicht, wohin deine Freunde und Angehörigen verschleppt wurden. Ob sie noch leben. Oder ob du sie jemals wiedersehen wirst. Du hast kaum zu essen. Kaum Kraft. Kaum Schlaf. Jeder Tag ist geprägt von Angst, Willkür und Erniedrigung. Und die einzige Zukunft, die realistisch erscheint, ist der Tod in der Gaskammer. Kein Plan. Keine Sicherheit. Keine Hoffnung im herkömmlichen Sinn.
Und doch – genau hier, unter diesen Bedingungen, hat ein Mensch etwas entdeckt, das stärker war als Hunger, Angst und Verzweiflung. Dieser Mensch war Viktor Frankl. Ein Psychiater, ein Häftling, ein Mensch wie du und ich.
Er stellte sich inmitten dieses Grauens nicht die Frage: «Warum passiert mir das?» Sondern eine andere, radikalere Frage: «Was verlangt das Leben jetzt von mir?» Und aus dieser Frage heraus entstand eine Erkenntnis, die später Millionen Menschen helfen sollte, weiterzuleben – auch dann, wenn alles sinnlos erscheint. Nicht, weil das Leid kleiner wurde. Sondern weil der Sinn größer war.
Wer war Viktor Frankl – und warum seine Idee heute noch wichtig ist
Viktor Frankl war österreichischer Psychiater und Überlebender mehrerer Konzentrationslager. Er verlor dort seine Familie, seine Freiheit, fast alles – und beobachtete dennoch etwas Erstaunliches: Nicht diejenigen überlebten am ehesten, die körperlich am stärksten waren, sondern oft jene, die noch einen Sinn sahen, weiterzuleben. Aus dieser Erfahrung entwickelte Frankl die Logotherapie – eine Psychotherapie, die nicht fragt: „Wie werde ich glücklich?“ sondern: „Wofür lohnt es sich zu leben?“
Frankl nannte den tiefsten Antrieb des Menschen den Willen zum Sinn. Wenn dieser Wille blockiert wird, entsteht das, was er das existenzielle Vakuum nannte: Leere. Apathie. Gefühl von Sinnlosigkeit. Ein Zustand, den heute sehr viele Menschen kennen.
Sinn ist nicht Glück – und genau das ist die Befreiung
Ein häufiger Fehler ist die Annahme: „Wenn ich wieder glücklich bin, dann hat mein Leben wieder Sinn.“ Frankl dreht das um. Er sagt: Sinn ist nicht das Ergebnis von Glück – Glück ist oft das Nebenprodukt von Sinn. Das ist wichtig, denn wenn du wartest, bis du dich motiviert, inspiriert oder gut fühlst, wartest du möglicherweise sehr lange.
Frankls Ansatz verlangt keine gute Stimmung. Er verlangt keine positive Einstellung. Er stellt nur eine Frage: „Was verlangt das Leben jetzt – von dir?“ Nicht: Was fühlt sich gut an? Nicht: Was erwarten andere? Sondern: Was wäre – selbst hier – eine würdige Antwort?
Die drei Wege zum Sinn nach Frankl
Frankl beschreibt drei grundlegende Wege, wie Menschen Sinn entdecken können. Nicht theoretisch – sondern praktisch, im Alltag.
Erster Weg: Sinn durch Tun – das, was du gibst
Frankl nennt das schöpferische Werte. Sinn entsteht durch das, was du in die Welt einbringst: Arbeit. Fürsorge. Engagement. Handlungen. Und wichtig: Das muss nichts Großes sein. Wenn das Leben sinnlos wirkt, ist die Energie meist gering. Frankl wusste das. Deshalb zählt auch: – eine Mahlzeit kochen – eine Aufgabe beenden – jemandem zuhören – einen kleinen Beitrag leisten Nicht, um dich zu beweisen. Sondern um zu sagen: „Ich nehme noch teil.“
👉 Mini-Übung:
Frage dich heute nur: „Welche eine kleine Verantwortung kann ich heute übernehmen?“ Nicht perfekt. Nicht heroisch. Nur real.
Zweiter Weg: Sinn durch Erleben – das, was du empfängst
Der zweite Weg sind Erlebniswerte. Sinn entsteht auch durch das, was du erfährst: Liebe.
Natur. Musik. Begegnung. Schönheit. Wenn Menschen sich sinnlos fühlen, ziehen sie sich oft zurück. Frankl würde sagen: Warte nicht darauf, dich lebendig zu fühlen – handle so, dass Lebendigkeit wieder möglich wird. Das kann bedeuten: – jemandem nahe zu sein – einen Sonnenuntergang bewusst zu sehen – Musik zu hören, die etwas in dir bewegt – einen Ort aufzusuchen, der dich ein wenig trägt
👉 Mini-Übung:
Wähle heute eine Begegnung oder Erfahrung und sage innerlich: „Ich erlaube mir, das zu empfangen.“ Auch wenn es nur für zwei Minuten ist.
Dritter Weg: Sinn durch Haltung – wenn nichts mehr änderbar ist
Das ist Frankls radikalster Gedanke. Er sagt: Wenn wir eine Situation nicht ändern können,
sind wir herausgefordert, uns selbst zu ändern. Das bedeutet nicht: Leiden schönreden.
Oder so tun, als wäre alles gut. Es bedeutet: Ich entscheide, wie ich dem Unvermeidlichen begegne. Sinn entsteht hier durch Haltung: – Würde statt Verbitterung – Aufrichtigkeit statt Flucht – Menschlichkeit statt Zynismus
👉 Mini-Übung:
Vervollständige diesen Satz: „Auch wenn ich ___ nicht ändern kann,
kann ich wählen, ___ zu sein.“ Zum Beispiel: „… kann ich wählen, ehrlich zu bleiben.“
„… kann ich wählen, mit mir selbst sanft zu sein.“
Drei praktische Werkzeuge aus der Logotherapie
Frankls Therapie war sehr konkret. Drei Ideen lassen sich leicht in den Alltag übertragen.
- Die richtigen Fragen stellen
Sinnlosigkeit stellt oft harte Fragen: „Was stimmt nicht mit mir?“ „Warum schaffe ich das nicht?“ Frankl würde diese ersetzen durch: – „Wofür lohnt es sich, durchzuhalten?“ – „Was ist mir so wichtig, dass es weh tut?“ – „Wer oder was würde von meinem Weitermachen profitieren?“ Sinn wird oft freigelegt, nicht erfunden.
- Dereflektion – weg vom Grübeln, hin zum Außen
Wenn alles sinnlos wirkt, dreht sich der Blick permanent nach innen. Frankl nannte es Dereflektion, die Aufmerksamkeit bewusst nach außen zu richten. Zum Beispiel: – jemandem helfen – sich einer Aufgabe widmen – Teil von etwas Größerem sein Nicht, um dich zu vergessen – sondern um aus der inneren Schleife auszusteigen.
- Paradoxe Haltung – der Angst die Macht nehmen
Manchmal verstärkt sich Sinnlosigkeit durch Angst: Angst vor Leere. Angst vor Versagen.
Angst, dass es nie besser wird. Frankl nutzte manchmal Humor oder Übertreibung, um der Angst die Kontrolle zu nehmen. Nicht um sie zu verspotten – sondern um ihr Gewicht zu lockern.
„Wer ein Warum hat, erträgt fast jedes Wie“
Dieser Satz wird oft zitiert. Er stammt eigentlich von Friedrich Nietzsche. Er beschreibt Frankls Ansatz hervorragend. Frankl meinte damit nicht: „Finde dein Lebensmotto und alles ist gut.“ Er meinte: Du brauchst kein großes Ziel. Du brauchst ein ehrliches Warum für heute. Das kann sein: – ein Mensch – ein Wert – eine Verantwortung – die Entscheidung, nicht aufzugeben Manchmal ist das Warum einfach: „Ich lasse diesen Schmerz nicht die letzte Stimme sein.“
FAQ
- Was bedeutet es, wenn sich das Leben sinnlos anfühlt?
Wenn sich das Leben sinnlos anfühlt, erleben Menschen oft innere Leere, Orientierungslosigkeit und das Gefühl, dass nichts wirklich zählt. Viktor Frankl nannte diesen Zustand das existenzielle Vakuum, das entsteht, wenn der Sinn im Leben verloren geht oder blockiert ist.
- Wer war Viktor Frankl?
Viktor Frankl war ein österreichischer Psychiater, Neurologe und Überlebender mehrerer nationalsozialistischer Konzentrationslager. Er begründete die Logotherapie, eine Sinn-orientierte Psychotherapie, die bis heute weltweit angewendet wird.
- Was ist Logotherapie einfach erklärt?
Logotherapie ist eine Form der Psychotherapie, die den Menschen als sinn-suchendes Wesen versteht. Sie fragt nicht primär nach Glück oder Symptombeseitigung, sondern danach, wofür es sich zu leben lohnt – selbst in schwierigen Situationen.
- Warum ist Sinn wichtiger als Glück?
Nach Viktor Frankl ist Glück oft eine Folge von Sinn, nicht dessen Voraussetzung. Wer nur nach Glück sucht, bleibt oft leer, während sinnvolles Handeln auch in schweren Zeiten innere Stabilität geben kann.
- Was meint Frankl mit dem „Willen zum Sinn“?
Der Wille zum Sinn ist nach Frankl der grundlegende menschliche Antrieb, dem eigenen Leben Bedeutung zu geben. Wird dieser Wille frustriert, können Leere, Depression oder Apathie entstehen.
- Was ist das existenzielle Vakuum?
Das existenzielle Vakuum beschreibt einen Zustand innerer Leere, Sinnlosigkeit und Orientierungslosigkeit. Es tritt häufig in modernen Gesellschaften auf, wenn traditionelle Werte oder persönliche Lebensziele wegfallen.
- Wie kann man Sinn im Leben wiederfinden?
Frankl beschreibt drei Wege zum Sinn: durch Tun (Handeln), durch Erleben (Beziehungen, Natur, Schönheit) und durch Haltung gegenüber unveränderlichem Leid. Sinn wird nicht erfunden, sondern im Leben entdeckt.
- Was sind die drei Wege zum Sinn nach Viktor Frankl?
Die drei Wege sind:
- Sinn durch schöpferische Werte (was wir tun und beitragen)
- Sinn durch Erlebniswerte (was wir erleben und empfangen)
- Sinn durch Einstellungswerte (wie wir mit Leid umgehen)
- Kann man Sinn auch im Leid finden?
Ja. Frankl betonte, dass Sinn besonders dort möglich ist, wo Leid nicht vermeidbar ist. Entscheidend ist die Haltung, mit der ein Mensch dem Unvermeidlichen begegnet.
- Bedeutet Frankls Ansatz, dass man Leiden akzeptieren muss?
Nein. Frankl verherrlicht Leid nicht. Er unterscheidet klar zwischen vermeidbarem Leid, das verändert werden sollte, und unvermeidbarem Leid, dem man mit Würde und Haltung begegnen kann.
- Was ist Dereflektion nach Viktor Frankl?
Dereflektion bedeutet, die Aufmerksamkeit bewusst vom Grübeln über sich selbst weg und hin zu einer Aufgabe, Beziehung oder Verantwortung zu lenken. Dadurch wird der innere Leidenskreislauf oft unterbrochen.
- Was ist die paradoxe Intervention?
Die paradoxe Intervention ist eine Methode, bei der Menschen das, wovor sie Angst haben, bewusst zulassen oder humorvoll übertreiben. Dadurch verliert die Angst ihre Macht über das Verhalten.
- Für wen ist Logotherapie geeignet?
Logotherapie eignet sich besonders für Menschen mit Sinnkrisen, existenziellen Fragen, Burnout, Depressionen oder nach Verlusten. Sie kann ergänzend zu anderen therapeutischen Ansätzen eingesetzt werden.
- Ist Sinnfindung eine spirituelle oder psychologische Frage?
Bei Frankl ist Sinnfindung primär eine psychologische und existentielle Frage, keine religiöse Pflicht. Spirituelle Dimensionen können dazugehören, sind aber keine Voraussetzung.
- Kann man Sinn auch in kleinen Dingen finden?
Ja. Frankl betonte, dass Sinn oft in kleinen, konkreten Handlungen liegt: eine Aufgabe erfüllen, Verantwortung übernehmen, jemandem zuhören oder für etwas Sorge tragen.
- Was bedeutet der Satz „Was verlangt das Leben jetzt von mir?“
Diese Frage richtet den Blick weg vom Opferdenken hin zur eigenen Antwortfähigkeit. Sie hilft, auch in schwierigen Situationen handlungsfähig und innerlich frei zu bleiben.
- Hilft Sinnfindung bei Depression?
Studien zeigen, dass erlebter Sinn als schützender Faktor bei depressiven Symptomen wirken kann. Sinn ersetzt keine Therapie, kann aber eine wichtige stabilisierende Rolle spielen.
- Was meint Frankl mit „Wer ein Warum hat, erträgt fast jedes Wie“?
Damit ist kein großes Lebensziel gemeint, sondern ein ehrliches, tragfähiges Warum für den Moment. Dieses Warum kann ein Mensch, ein Wert oder die Entscheidung sein, nicht aufzugeben.