Burnout 7: Die psychoanalytische Erklärung

Dec 20, 2025

 

Burnout: Die Lüge vom modernen Phänomen – und was wirklich dahintersteckt

Warum Burnout kein Problem des 21. Jahrhunderts ist, sondern ein Ausdruck tiefer seelischer Konflikte.


Burnout gilt heute als eines der großen Gesundheitsprobleme unserer Zeit. Wir verbinden den Begriff mit digitalem Stress, ständig voller Terminkalender, Dauererreichbarkeit und den Anforderungen des modernen Arbeitslebens.

Doch das ist ein Trugschluss.

Burnout ist nicht neu – neu ist nur unser Wort dafür.

Der Begriff „Burnout“ tauchte erstmals 1974 in der psychologischen Literatur auf, geprägt vom Psychoanalytiker Herbert Freudenberger, der emotional erschöpfte Pflegekräfte beschrieb. Doch das, was er sah, ist viel älter: eine tiefe seelische Erschöpfung, die entsteht, wenn Menschen zwischen äußeren Anforderungen und inneren, unbewussten Konflikten aufgerieben werden.

Um zu verstehen, was hinter Burnout wirklich steckt, müssen wir tiefer gehen – weit über moderne Stressmodelle hinaus.

Wir müssen zurück zu den Wurzeln der Psychoanalyse.


Die Wurzeln des Burnouts in der Psychoanalyse

Schon lange vor dem Begriff „Burnout“ beschrieben Psychoanalytiker psychische Erschöpfung, die aus ungelösten inneren Konflikten entsteht.

Sigmund Freud

Freud zeigte, dass unser Verhalten von unbewussten Wünschen, Ängsten und Konflikten geprägt ist – und dass Überlastung häufig entsteht, wenn ein Mensch versucht, innere Spannungen durch äußere Leistung zu regulieren.

Quelle:
Freud, S. (1905/1910 ff.). Gesammelte Werke.
Beschreibung: Freud beschreibt wiederholt, wie innere Konflikte (z. B. zwischen Ansprüchen des Über-Ichs und Bedürfnissen des Ichs) zu Erschöpfung, Überforderung und Symptombildung führen. Er legt damit die Grundidee, dass psychische Belastung aus inneren Widersprüchen entsteht.

Carl Gustav Jung

Jung erkannte, dass Menschen nach Sinn, Selbstverwirklichung und Identität streben. Wird dieser Sinn verloren, geraten sie in Krisen – häufig begleitet von Erschöpfung, Depression und innerer Leere.

Quelle:
Jung, C. G. (1933). Moderne Psychotherapie und ihre Bedeutung.
Beschreibung: Jung beschreibt die psychischen Folgen eines „verlorenen Selbst“, darunter Erschöpfung, Entfremdung, innere Leere – Phänomene, die heutigen Burnout-Symptomen ähneln.

Karen Horney

Horney identifizierte innere Konflikte aus Kindheitserfahrungen, die Menschen in übermäßige Anpassung, Perfektionismus oder zwanghaften Leistungswillen treiben.

Quelle:
Horney, K. (1945). Unsere inneren Konflikte.
Beschreibung: Horney zeigt, wie unbewusste Ängste zu Perfektionismus, Überanpassung und Selbstüberforderung führen – klassischen Risikofaktoren für Burnout.

Diese psychoanalytischen Grundlagen zeigen:
Burnout ist kein Stressphänomen.
Burnout ist ein innerer Konflikt, der im Arbeitskontext sichtbar wird.


Was ist Burnout wirklich? Moderne Forschung – aber unvollständig

Heute wird Burnout typischerweise über drei Merkmale definiert:

  1. Emotionale Erschöpfung

  2. Zynismus / Distanzierung von der Arbeit

  3. Gefühl von Ineffektivität

Diese Definition – maßgeblich geprägt von Christina Maslach – beschreibt die Oberfläche, aber nicht die psychische Tiefe.

Quelle:
Maslach, C. & Leiter, M. (1997). The Truth About Burnout.
Beschreibung: Maslach liefert das weltweit genutzte Burnout-Modell. Sie beschreibt äußere Ursachen wie Arbeitsbelastung, aber kaum innere psychodynamische Mechanismen.

Die psychodynamische Perspektive ergänzt die entscheidende Frage:

Warum trifft es manche Menschen früher, härter oder häufiger – selbst bei gleicher Arbeitsbelastung?

Die Antwort: unbewusste Muster.


Burnout als unbewusster Konflikt – Die psychodynamische Erklärung

Psychodynamische Modelle gehen davon aus, dass wir nicht nur bewusst arbeiten, sondern unbewusst:

  • alte Beziehungsmuster wiederholen

  • emotionalen Mangel kompensieren

  • unseren Selbstwert stabilisieren

  • innere Kritik beruhigen

  • unerfüllte Bindungsbedürfnisse in Leistung verwandeln

Burnout entsteht, wenn diese Strategien scheitern.

1. Die übermäßige Notwendigkeit, gebraucht zu werden

Die Psychologin Ayala Malach-Pines hat gezeigt, dass viele Burnout-Betroffene ihre Arbeit nutzen, um emotionale Leere zu füllen – oft ein Echo früher Bindungserfahrungen.

Quelle:
Pines, A. M. & Aronson, E. (1988). Career Burnout.
Beschreibung: Eine der ersten tiefenpsychologischen Analysen von Burnout. Pines zeigt, wie „gebraucht werden wollen“ zu Überarbeitung führt und wie frühe Erfahrungen Burnout-Risiken verstärken.

2. Der Drang, den eigenen Wert zu beweisen

Menschen mit einem strengen inneren Kritiker arbeiten oft, um Angst zu beruhigen: Angst, nicht zu genügen. Angst, wertlos zu sein. Angst, zu enttäuschen.

Quelle:
Horney, K. (1937). Der neurotische Mensch unserer Zeit.
Beschreibung: Horney beschreibt, wie Perfektionsstreben und Selbstzweifel aus tieferen Ängsten entstehen – ein Kernmechanismus vieler Burnout-Verläufe.

3. Wiederholung unbewusster Beziehungsmuster

Die Arbeit wird zur Bühne für Rollen aus der Kindheit:
Der Chef wird zur Elternfigur, Kolleginnen zu Geschwistern, Klientinnen zu Menschen, die man retten muss.

Quelle:
Objekttheoretische Ansätze (z. B. Fairbairn, Winnicott)
Beschreibung: Diese Modelle beschreiben, wie früh eingeprägte Beziehungserfahrungen später unbewusst wiederholt werden – häufig sichtbar im beruflichen Kontext.


Organisationsdynamik: Wenn das System mitbrennt

Burnout ist nie nur ein individuelles Problem.
Organisationen haben ihre eigenen unbewussten Dynamiken.

Der Organisationspsychologe Francois Cilliers zeigte, dass Teams unbewusst bestimmte emotionale Rollen zuteilen:

  • die Starke

  • die Emotionsträgerin

  • der Problemlöser

  • der Schuldige

Wenn diese Rollen starr bleiben, brennen einzelne Menschen aus – nicht wegen persönlicher Schwäche, sondern weil sie unbewusst „das System tragen“.

Quelle:
Cilliers, F. (2003). Systems Psychodynamics and Burnout.
Beschreibung: Erklärt, wie Team- und Organisationskulturen unbewusste Rollenzuweisungen erzeugen, die Burnout verstärken.


Was bedeutet das für Prävention und Heilung?

Psychodynamische Ansätze sehen Burnout nicht als temporären Erschöpfungszustand, sondern als Zeichen eines destruktiven inneren Musters.

Heilung beginnt, wenn wir verstehen:

  • Welche unbewussten Motive treiben mich an?

  • Welche alten Muster wiederhole ich?

  • Wessen Anerkennung suche ich wirklich?

  • Welche Leere versuche ich zu füllen?

  • Warum fällt es mir so schwer, Grenzen zu setzen?

Quelle:
Pines, A. M. (2000). Treating Career Burnout.
Beschreibung: Beschreibt ein tiefenpsychologisch-existentielles Behandlungskonzept für Burnout, das auf Bedeutungsfindung und Aufarbeitung unbewusster Motive basiert.

Burnout verlangt auch organisatorische Veränderungen:
weniger Schuldzuweisung, mehr Reflexion, realistische Arbeitsstrukturen, bewusster Umgang mit Rollen.


Fazit: Burnout ist ein Ruf des Unbewussten

Burnout ist nicht einfach Stress.
Burnout ist nicht nur ein Produkt moderner Arbeitswelten.

Burnout ist ein inneres Erschöpfungssyndrom, das entsteht, wenn Menschen versuchen, über Arbeit Konflikte zu lösen, die viel früher begonnen haben – und viel tiefer liegen.

Es ist oft der Moment, in dem die Psyche sagt:

„Ich kann so nicht weitermachen.“
„Ich will verstanden werden.“

Burnout ist ein Signal – kein Versagen.

Ein Ruf, genauer hinzusehen.
Ein Hinweis darauf, dass etwas im Inneren geheilt werden möchte.

Und erst wenn wir diese psychodynamische Dimension ernst nehmen, verstehen wir wirklich, was hinter Burnout steckt – und wie wir ihm begegnen können.

 

🧠 FAQ: Burnout – Was wirklich dahintersteckt

  1. Ist Burnout wirklich ein modernes Phänomen?

Nein. Burnout wirkt modern, ist aber kein neues Phänomen. Neu ist nur der Begriff (seit 1974). Die zugrunde liegende seelische Erschöpfung existiert schon lange und wurde in der Psychoanalyse umfassend beschrieben.

  1. Was ist die wahre Ursache von Burnout?

Burnout entsteht nicht allein durch äußeren Stress, sondern durch unbewusste psychische Konflikte, die sich im Arbeitskontext zuspitzen. Dazu gehören alte Beziehungsmuster, tief sitzende Ängste, Perfektionismus und Sehnsucht nach Anerkennung.

  1. Welche Rolle spielen unbewusste Konflikte bei Burnout?

Unbewusste Konflikte steuern unsere Motivation und unser Verhalten. Wenn wir versuchen, emotionale Bedürfnisse durch Arbeit zu erfüllen – etwa gebraucht zu werden, wertvoll zu sein oder alte Wunden zu heilen – geraten wir schneller in Burnout.

  1. Was versteht man unter der psychodynamischen Perspektive auf Burnout?

Die psychodynamische Perspektive sieht Burnout als Ergebnis innerer Konflikte, nicht nur äußerer Überlastung. Sie untersucht, welche unbewussten Muster wir in der Arbeit wiederholen und wie sie zu Erschöpfung führen.

  1. Warum sind manche Menschen anfälliger für Burnout als andere?

Menschen mit starkem inneren Kritiker, Perfektionsdruck, hohem Anpassungsbedürfnis oder unerfüllten Bindungsbedürfnissen sind anfälliger. Sie ignorieren oft länger eigene Grenzen und arbeiten, um innere Unsicherheit zu kompensieren.

  1. Welche psychischen Muster fördern Burnout?

Drei Muster sind besonders typisch:

  • Gebraucht werden wollen: Übermäßiges Helfen bis zur Selbstaufgabe.
  • Wert beweisen müssen: Perfektionismus und Angst vor Fehlern.
  • Alte Rollen wiederholen: z. B. den Chef wie eine Elternfigur erleben oder Klient*innen „retten“ wollen.
  1. Welche Rolle spielen Organisationen beim Burnout?

Burnout entsteht nicht nur individuell. Teams und Organisationen besitzen unbewusste Dynamiken, die Mitarbeitenden emotionale Rollen zuschreiben (z. B. „die Starke“, „der Problemlöser“). Wer diese Rollen trägt, brennt oft stellvertretend für das System aus.

  1. Warum helfen Urlaub oder Achtsamkeit bei Burnout oft nicht dauerhaft?

Urlaub und Entspannung lindern Symptome, lösen aber nicht die unbewussten Ursachen. Ohne Auseinandersetzung mit inneren Mustern kehren Betroffene meist in dieselben Überlastungsstrategien zurück.

  1. Wie kann Burnout psychodynamisch behandelt werden?

Die Behandlung konzentriert sich auf das Erkennen unbewusster Motive:

  • Welche Ängste treiben mich?
  • Welche Muster wiederhole ich?
  • Wen oder was versuche ich zu beweisen oder zu retten?
    Durch Einsicht entstehen neue, gesündere Verhaltensweisen.
  1. Woran merke ich, dass Burnout ein „Signal“ meiner Psyche ist?

Wenn Erschöpfung, Zynismus, innere Leere oder das Gefühl des Versagens anhalten, zeigt die Psyche: „So kann ich nicht weitermachen.“ Burnout signalisiert, dass ein innerer Konflikt gesehen und verändert werden muss.

  1. Was ist die wichtigste Erkenntnis über Burnout?

Burnout ist kein Zeichen von Schwäche und keine reine Stressfolge.
Burnout ist ein Ruf des Unbewussten, die eigenen Bedürfnisse, Grenzen und inneren Muster ernst zu nehmen.